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HLV-Geschäftsführer Seybold: „Wir müssen die Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln reduzieren“


Thomas Seybold (Foto: Michael Siegel)

Thomas Seybold, 52 Jahre alt, ist seit 1. März 1990 Geschäftsführer des Hessischen Leichtathletik-Verbandes (HLV). Der frühere Weitspringer des TV Bad Vilbel mit einer Bestleistung von 7,51 Meter (1981) hat aktuell insbesondere finanzielle Herausforderungen zu bewältigen, in enger Abstimmung mit HLV-Präsidentin Anja Wolf-Blanke. Im Interview mit hlv.de spricht er über Problembereiche der hessischen Leichtathletik, Lösungsmöglichkeiten und Perspektiven.


Bereitet Ihnen die Finanzierung des HLV viele Kopfschmerzen?


Unsere Jahresabschlüsse 2009 und 2010 waren deutlich im Minus, anschließend haben unsere Präsidentin, Vizepräsident Markus Ott und ich in mehreren Abendsitzungen einen Schnitt gemacht und alle Positionen auf den Prüfstand gestellt. Mit der Folge, dass die Ausgaben deutlich reduziert worden sind. So wurde das verbandseigene Auto abgeschafft, die Etats unserer Kreise mussten mit deren Zustimmung gekürzt werden; von jährlich 28.000, 29.000 Euro auf jetzt 22.000 Euro.
bZudem wurde zum 31. Dezember 2011 eine Geschäftsstellenmitarbeiterin entlassen und der Verkauf von Bestenlisten, Breitensportabzeichen, T-Shirts usw. an eine Behindertenwerkstatt ausgelagert. Das war seinerzeit für die betroffene Person schlimm und auch für uns nicht leicht, diesen Schritt zu gehen, mittlerweile werte ich die Ausgliederung als Innovation. Bei Neueinstellungen werden die Arbeitsverträge jetzt flexibel ausgehandelt. Die Orientierung an Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ist Schnee von gestern. Zudem hat der Leichtathletik-Förderverein (LFH) im vergangenen Jahr die HLV-Gala übernommen und aus seinen Mitteln finanziert. Dafür sind wir sehr dankbar.

Wie finanziert sich die hessische Leichtathletik?

Bereits vor fünf Jahren habe ich eine Übersicht der einzelnen Einnahmeposten erstellt, daran hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Der überwiegende Teil, 37 Prozent, stammte seinerzeit aus dem Wettanteil von Lotto Hessen, sonstigen Zuschüssen und Spenden. 29 Prozent waren Leistungssportfördermittel, die zweckgebunden eingesetzt werden müssen. In der Summe sind wir also zu mehr als 60 Prozent auf öffentliche Mittel angewiesen. Etwa 40 Prozent der Gesamteinnahmen erwirtschaften wir selbst. Durch Startpasslizenzgebühren, Meldegebühren für Meisterschaften, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen und Werbeeinnahmen.

Wie kann der rückläufige Wettanteil von Lotto Hessen kompensiert werden?

Seit 1998 unter dem damaligen Präsidenten Elmar Knappik und später noch intensiver unter Wolfgang Schad bemühen wir uns offensiv um Sponsoren, sprich die Akquisition von Werbeeinnahmen. Vorher war dieses Vorgehen eher verpönt. Wir müssen mehr denn je selbstständiger werden, die Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln reduzieren. Denn auch im vergangenen Jahr haben die Zuwendungen des Landessportbundes (LSB) Hessen etwa 30 Prozent ausgemacht. Die Mittel für den Leistungssport inklusive des Trainerprogramms sind auf etwa 25 Prozent zurückgegangen. Die paar Prozente werden jetzt viele sagen. Aber bei einem Gesamthaushalt von knapp 1,1 Millionen Euro ist dies eine Menge. Zumal die Lotto-Zuwendungen an den LSB weiter rückläufig sind und davon auch der HLV betroffen sein wird.

Beim Thema Geld spielen auch die Lehrer-Trainer-Stellen eine Rolle …

Der HLV hat landesweit zehn Stellen. Mittlerweile beteiligen wir die kooperierenden Vereine aber mit 50 Prozent an den Kosten. Auch dies stellt eine Verbesserung unserer Einnahmesituation dar. Bis 2009 hat der Verband die Kosten zu 100 Prozent getragen. Damals haben wir sogar darüber nachgedacht, ob wir alle Lehrer-Trainer-Stellen halten können oder einige zurückgeben sollen. Was natürlich beim Thema Ganztagsschule und Nachwuchsfindung eine Schwächung des HLV bedeutet hätte.

Wie haben die betroffenen Vereine reagiert?

Wir mussten jede Menge Überzeugungsarbeit leisten. Aber schließlich ziehen die Klubs auch Nutzen von den Lehrer-Trainer-Stellen. Ein Paradebeispiel ist der Wiesbadener Leichtathletik-Verein (WLV), der eine gut funktionierende Kooperation mit Diedrich Meyn vom Gutenberg-Gymnasium aufgebaut hat. Der WLV hat enormen Zuwachs an Kindern und generiert so mehr Mitgliedsbeiträge. Sehr gut ist auch die Zusammenarbeit in Kassel zwischen Michael Hocke und dem LAV Hessen Kassel. Mit den Lehrer-Trainern, das ist eine Vorgabe des Kultusministeriums, müssen Zielvereinbarungen geschlossen werden, richtige Erfolgskontrollen. Die bislang letzte Stelle, die der HLV bekommen hat, nimmt Felix Gerbig in Darmstadt wahr. Dominic Ullrich arbeitet in Frankfurt schon seit Jahren auf hohem Niveau und ausgesprochen vielfältig, um nur einige Beispiele zu nennen.

Spürt der HLV die vom LSB befürchteten Einbrüche aufgrund von G8?

Ehrlich gesagt: Wir hatten Riesenbammel. Untersuchungen haben wir keine, aber wir spüren Gott sei Dank keine Auswirkungen der längeren Schulzeiten auf die Leichtathletik. Der Trend ist aus meiner Sicht derzeit eher folgender: Einige Schulen in Hessen kehren zurück zu G9 oder bieten G8 und G9 parallel an. Ich kenne aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis in Bad Vilbel auch viele Eltern, die mit ihren Kindern regelrecht flüchten vor G8. Anders gesagt: Rund um die verkürzte Gymnasialzeit ist alles etwas entspannter geworden, als wir zunächst dachten. Unabhängig davon bleibt aufmerksam zu beobachten, welche Auswirkungen die Ganztagsschule auf den gesamten organisierten Sport hat.

Inwieweit ist die hessische Leichtathletik vom Schwund an Ehrenamtlichen betroffen?

Der HLV spürt dies insbesondere im Bereich der Kampfrichter. Das ist eine Riesenproblematik. Unsere älteren Herrschaften sind extrem zuverlässig, doch es fehlt an 18-, 19- und 20-Jährigen. Insbesondere auf Kreisebene mangelt es an ausgebildeten Kampfrichtern. Wer opfert schon mehrere Abende oder zwei Wochenenden für eine Fortbildung? Wer macht das? Da spüren auch wir die Veränderungen in der Arbeitswelt. Die Wochenarbeitszeit ist nicht das Thema, sondern der Trend zur „Rund-um-die-Uhr-Beschäftigung“ mit Nachtschichten und Wochenendarbeit. Wie der HLV darauf reagieren kann, wird auf der nächsten Verbandsvollversammlung im November ein großes Workshop-Thema sein. Die Kreise brauchen Hilfestellungen, auch bei der Akquisition von Übungsleitern und ehrenamtlichen Mitarbeitern in den Vereinen.

Wo steht der HLV im olympischen Jahr 2012?

Wir stehen bundesweit an fünfter, sechster Stelle; sind gut aufgestellt, innovativ und modern. Dass der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) dies ebenfalls so sieht, fasse ich durchaus als Lob auf. Unsere Trainingskiste ist deutschlandweit einmalig und bei unserer Eigenmarke „Art and Athletics“ sind neue Dinge in der Entwicklung. Im Top-Spitzenbereich dürfte es nach den Spielen in London einen Schnitt geben, aber das ist normal am Ende eines Vierjahreszyklus.

Wo sehen Sie Defizite im HLV?

Die Sponsorensuche und -betreuung muss intensiviert werden. Wir bekommen teilweise ja schon Probleme bei der professionellen Anbringung von Werbebanden bei Hessischen Meisterschaften. Das kann es nicht sein. Jemand, der sich permanent auf die Suche nach neuen Sponsoren begibt, ein Marketing-Profi, so jemanden bräuchte der HLV. Mein persönliches Traumprojekt sieht so aus, analog zum Deutschen Fußball-Bund, nur in etwas kleinerer Form: ein Fahrzeug, ausgerüstet mit Geräten für die Kinder-Leichtathletik, eine zuständige Person auf Teilzeitbasis und womöglich noch jemand, der ein Freiwilliges Soziales Jahr bzw. einen Bundesfreiwilligendienst ableistet. Auf Anforderung von Schulen und Vereinen stehen wir dann in ganz Hessen bei Aktions- und Projekttagen, Kindergarten- und Schulfesten zur Verfügung. So könnten wir die neue Kinder-Leichtathletik mit der Vermittlung von Bewegungsformen auch in den Köpfen der Lehrer verankern und unsere Sportart zukunftsfähig machen. Leider hat noch kein Sponsor 40.000 bis 50.000 Euro als Anschubfinanzierung in die Hand genommen. Die Akzeptanz wäre sicherlich da - wir sehen es an den vier Rosbacher-Aktionstagen, die wir jährlich unter Schulen verlosen.

Wie hat der HLV die deutschen Meisterschaften 2011 in Kassel finanziell abgeschlossen?

1997, bei der DM im Frankfurter Waldstadion, gab es noch vergleichsweise paradiesische Verhältnisse. Ich glaube, der HLV hat damals 50.000 Mark vom Deutschen Leichtathletik-Verband für seine Mitarbeit erhalten. Wir waren mit einem festen Prozentsatz am Erlös beteiligt und konnten damit vier, fünf Jahre lang zusätzliche Maßnahmen finanzieren. Da der Umbau des Kasseler Auestadions für die ursprünglich bereits im Jahr 2010 geplante DM nicht rechtzeitig fertig wurde, musste Braunschweig einspringen - und schloss im Minus ab. So kamen wir 2011 gewaltig in die Verpflichtung. Letztlich sind nicht mehr als 5.000, 6.000 Euro beim HLV verblieben, die wir über eine Provisionsbeteiligung durch unsere Mitarbeit bei der Sponsorengewinnung bekommen haben. Gearbeitet haben wir praktisch Null auf Null.

Sind das faire Vereinbarungen seitens der DLV-Vermarktungsgesellschaft DLP?

Schwierig zu sagen. Der DLV sollte aus meiner Sicht die Finanzierung einer solchen Meisterschaft grundsätzlich überdenken. Denn die aktuellen Rahmenbedingungen für die Landesverbände und die beteiligten Städte sind schon happig. Eine Stadt muss zunächst eine Garantiesumme im unteren sechsstelligen Bereich auf den Tisch legen. Ob das in Zeiten knapper Kassen dauerhaft trägt, weiß ich nicht. Wir haben aus Kassel folgende Rückmeldung: Jederzeit gerne wieder, aber nicht zu diesen Bedingungen. Wobei man wissen muss, dass die Stadt Kassel vor Ort auch eine Geschäftsstelle mit einem Personalkostenzuschuss finanziell unterstützt hat.

(Das Gespräch führte Uwe Martin)

 


07/03/2012