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Kampf gegen den WM-Blackout


Pascal Behrenbruch bei der WM in Berlin (Foto: Iris Hensel)

Ein paar Stunden noch, höchstens ein paar Tage. Dann dürfte die Entscheidung gefallen sein, ob die Leichtathletik-WM im südkoreanischen Daegu (27. August bis 4. September) doch noch live in ARD und ZDF zu sehen sein wird. Am 23. März ist der Sportausschuss mit der Frage beschäftigt, ob es für ARD/ZDF eine Leitlinie geben könnte im Hinblick auf die Übertragung bestimmter internationaler Events. Und spätestens am 25. März, so ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky unlängst in der Tageszeitung „Tagesspiegel“ müsse so oder so eine Entscheidung her - aufgrund des Produktionsvorlaufs. Die deutsche Leichtathletik ist mächtig in die Offensive gegangen, seit im Januar 2011 die Verhandlungen zwischen dem Weltverband IAAF bzw. seiner Vermarktungsagentur IEC sowie den Vertretern der beiden öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten abgebrochen wurden. Es geht um Geld, sehr viel Geld, womöglich zu viel Geld. Die Weltmeisterschaften in Daegu und in Moskau (2013) sollten ARD/ZDF 15 Millionen Euro wert sein, sechs Millionen Euro wollten sie bezahlen.

Harte Fakten sind seit dem Scheitern der Verhandlungen nicht durchgesickert - lediglich Stimmungsaufnahmen, Eindrücke und ein paar Signale. Aber eine Leichtathletik-WM ohne Livebilder in ARD und ZDF? Dies wäre ein Novum in der Geschichte dieser Titelkämpfe. Mehrere hundert deutsche Leichtathleten haben schon vor Wochen einen Brief an die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten unterschrieben - wobei eine Kopie an Bundeskanzlerin Angela Merkel ging -, auch hessische Topathleten wie Pascal Behrenbruch, Ariane Friedrich und Kathrin Klaas. Man fühlt sich ins mediale Abseits gedrängt, ohne die Abbildung von Vorbildern werde das Interesse an der Leichtathletik zurückgehen. Grundsätzlich werde der Sport in seiner kulturellen Vielfalt nicht mehr abgebildet. An diesem Argument ist natürlich etwas dran. Fußball, Fußball, Fußball - dann kommt lange nichts in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Und dann - im Winter - Biathlon und Skilanglauf beinahe ohne Unterbrechung.

Intern herrscht bei ARD und ZDF ein immenser Quotendruck; nur so ist es beispielsweise zu erklären, dass zweit-, dritt- und viertklassige Boxkämpfe weiterhin von der ARD promotet werden. Die Quote stimmt nämlich, obwohl die dargereichte „Ware“ Sport fast nie höheren Ansprüchen genügt. Dass sich das ZDF vom Live-Boxen verabschiedet hat, ist in diesem Zusammenhang eine löbliche Entscheidung. Doch längst sind bei den ARD-Landesrundfunkanstalten Kosten-Nutzen-Rechnungen aufgemacht worden, etwa beim Südwestrundfunk (SWR), der die Live-Übertragung des Mainz-Marathons mittlerweile gestrichen hat. Und beim Hessischen Rundfunk verdichtet sich exemplarisch, wohin der Weg führt: In die mediale Fußball-Gesellschaft. Dass kürzlich sogar Bundespräsident Christian Wulff die „Zentrierung auf Fußball“ kritisierte, dürfte in der aktuelle WM-Debatte um Daegu genauso wenig weiterhelfen wie der Hinweis von Leichtathletik-Sympathisanten auf die zeitweise herausragenden Quoten bei der WM in Berlin vor zwei Jahren: 9,92 Millionen Menschen sahen im ZDF, wie Usain Bolt über 100 Meter nur 9,58 Sekunden benötigte. Aber ist diese Leistung ein Kulturgut, die Live-Bilder rechtfertigt?

ARD-Mann Balkausky argumentiert bislang so: „Ich muss in diesem und im nächsten Jahr zehn Millionen Euro einsparen.“ Und ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz wird im „Tagesspiegel“ folgendermaßen zitiert: „Wir müssen uns mit unseren finanziellen Beiträgen stärker als bisher am Markt orientieren und uns auch für die Summen rechtfertigen.“ Übersetzt heißt das: Bietet die IAAF-Agentur IEC noch einen marktkonformen Preis an, ist vieles möglich. Es heißt aber auch: Die Leichtathletik ist nicht so viel wert, wie manch einer glaubt. Oder wie sagte Prof. Dr. Helmut Digel, heute IAAF-Council-Mitglied und früher DLV-Präsident: „Wir suchen in der aktuellen Diskussion nach einem fairen Preis.“ Für ein „wertvolles Produkt“, wie IAAF-Sprecher Nick Davies bei der Hallen-DM in Leipzig betonte. Viele haben mittlerweile enttäuscht oder mahnend ihre Stimme erhoben, nicht nur Hammerwurf-Europameisterin Betty Heidler (Frankfurt), Diskus-Weltmeister Robert Harting (Berlin) und Kugelstoßerin Nadine Kleinert aus Magdeburg, Olympia-Silbermedaillengewinnerin 2004.

Doch hilft das der Leichtathletik? Auf der Homepage www.kein-wm-blackout.org haben bis zum 22. März (15.30 Uhr) gerade mal 3.662 Personen per Mausklick ihre Stimme erhoben. Ist das viel? Ist das wenig? Der Frankfurt-Marathon hat sogar 150 Facebook-Freunde mehr.

Uwe Martin

 


22/03/2011