Ariane Friedrich: „Ich möchte bei den Olympischen Spielen 2012 eine Medaille gewinnen“
Ariane Friedrich und Trainer Günter Eisinger im Jahr 2006 (Foto: Inge Helmke)
Ariane Friedrich von der LG Eintracht Frankfurt ist zusammen mit Hammerwurf-Weltrekordhalterin Betty Heidler die erfolgreichste hessische Leichtathletin der vergangenen Jahre. Die 27-Jährige ist deutsche Rekordhalterin (2,06 Meter), Hallen-Europameisterin (2009), WM-Dritte (2009) und EM-Dritte (2010). Im Interview mit hlv.de spricht die Athletin von der LG Eintracht Frankfurt über ihre Comebackpläne, die Perspektiven für Olympia 2012 und die lange Leidenszeit nach ihrer schweren Verletzung.
Ihr Achillessehnenriss liegt bald ein Jahr zurück. Wie präsent sind die Gedanken daran noch?
Gedanken an den Unfallhergang, an den Riss, habe ich nicht mehr. Ich spüre nur, dass sich die linke Achillessehne anders anfühlt als die rechte. Dies sei aber völlig normal, hat mein Arzt gesagt. Die Nervenverbindungen seien noch nicht so wie vorher. Und das kann bis zu einem Jahr dauern. Ich habe aber keine Schmerzen und keine Probleme. Nur das Empfinden ist ein anderes.
Welche Rolle spielt der Kopf bei der Bewältigung einer so schweren Verletzung?
Eine ganz wesentliche. Die Belastung beim Hochsprung fängt ja schon im Anlauf an und setzt sich im Absprung fort. Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ich versuche die Verletzung in ihrer Omnipräsenz zurückzudrängen. Wenn ich beispielsweise in der Physiotherapie bin, lasse ich eher andere Sachen behandeln. Die Sache mit der Achillessehne ist eigentlich vorbei. Das Positive war ja: Es ist nicht beim Hochsprung, sondern bei einem Sprungtest passiert. Und diese Art Sprünge brauche ich nicht unbedingt, um zwei Meter und höher zu springen. Das ist ein Pluspunkt für meine Psyche. Wie ich das alles verarbeitet habe, werde ich erst im Wettkampf sehen. Erst dann geht es nämlich mit Maximalbelastung direkt auf den Fuß drauf.
Körperlich ist Ariane Friedrich wieder ganz die Alte?
Ich habe meine Problemzone im Rücken sehr gut im Griff. Die Trainingspause hat mir da sehr gut getan. Ob ich die Alte bin, kann ich gar nicht sagen. Ich glaube, dass ich mein Wesen verändert habe. Ich nehme meine Gesundheit und viele andere Dinge in meinem Leben anders wahr. Ich habe das alles sehr schätzen gelernt. Wahrscheinlich bin ich gar nicht mehr die Alte. Und ich versuche sehr bewusst zu trainieren. Die ehrgeizige Ariane war nie weg, die psychisch starke Ariane war auch nie weg. Alles andere wird man sehen. Meine Trainingswerte sind topp, da kann ich nicht meckern.
Wie haben Sie sich in den vergangenen Monaten motiviert?
Die Frage, ob ich aufhöre oder nicht, stand nie zur Debatte. Es war eher der Gedanke: Och Scheiße, jetzt ist die Sehne gerissen, oh je. Jetzt wird’s aber ganz schön schwierig zu warten und geduldig zu sein. Das war das Schlimmste, was man mir antun konnte. In der Reha war ich deshalb über jeden kleinen Fortschritt dankbar.
Hat die Aussicht auf Olympia 2012 geholfen?
Die Olympischen Spiele sind eine große Zusatzmotivation. Die erste Motivation war aber: Ich will zurückkommen! Und dort weitermachen, wo ich aufgehört habe. Das steht weiterhin im Vordergrund. Dass Olympische Spiele stattfinden, passt wunderbar, so kann ich zwei große Ziele verbinden. Das gibt Kraft.
Könnten die Spiele in London ein Karriere-Schlusspunkt werden?
Ich denke nicht über das Aufhören nach. Ich will erst einmal zurückkommen und ganz tolle Wettkämpfe machen. Wenn ich keinen Spaß mehr am Hochsprung hätte und alles nur noch als Quälerei empfinden würde, und vielleicht auch der Körper nicht mehr will, dann muss ich über das Karriereende nachdenken. Aber danach sieht es im Moment nicht aus. Ich lasse mich nach Olympia von meinem Körper überraschen.
Nun gibt es im nächsten Jahr auch eine Europameisterschaft…
Die EM ist mit Sicherheit ein Thema für mich. Denn direkt danach wird für Olympia nominiert. Ich bin aber nicht sicher, ob ich es gut finden soll, dass in einem olympischen Jahr auch Europameisterschaften stattfinden. Denn der Fokus wird nicht auf der EM liegen. Und das macht mich ein bisschen traurig.
Gibt es schon einen Zeitplan für den ersten Comeback-Wettkampf?
Das hängt davon ab, wie schnell ich die Reaktivität meiner Muskeln trainieren kann. Schnellkräftige Übungen sind ein Schwerpunkt in den nächsten Wochen. Mein Trainer und ich planen den Einstieg Ende Januar 2012, dann möchte ich vier Wettkämpfe absolvieren und nach den deutschen Meisterschaften die Hallensaison beenden.
Haben sich Ihre sportlichen Ziele relativiert?
Ja und Nein. Meine Ansprüche sind von Training zu Training gestiegen. Als ich den orthopädischen Schuh erstmals ausziehen durfte, konnte ich mich gar nicht abdrücken. Ich stand auf dem Fuß und hatte keine Kraft, mich auf die Zehenspitzen zu stellen. Mein linkes Bein sah ganz schlimm, ganz dünn aus. Das ist erschreckend gewesen. Ich war schon einmal bei Olympia und im Finale, das ein wundervolles Erlebnis. Das möchte ich wieder erleben - und eine Medaille gewinnen. Ich möchte kein Sporttourist sein, sondern eine wichtige Rolle spielen. Das ist mein Leistungsanspruch.
Wie haben sich ihre Sponsoren während der Wettkampfauszeit verhalten?
Die Polizei Hessen, der Olympiastützpunkt in Frankfurt und mein Verein Eintracht Frankfurt haben mir jegliche Unterstützung gewährt. Es gab Tage, da war ich alleiniger Patient bei einem hauptamtlichen Physiotherapeuten. Das sind Luxusbehandlungen gewesen, die nicht normal sind. Hinzu kommt, dass Nike meinen Vertrag nicht gekürzt hat, was möglich gewesen wäre. Ebenso die Eintracht. Ich habe sogar einen Sponsor hinzubekommen und einen weiteren Partner in Aussicht. Mein Trainer und Manager Günter Eisinger hat einmal gesagt: Du bist die einzige Leichtathletin, die auch während einer Verletzung bei den Sponsoren noch genauso präsent ist.
Wieder bereit für internationale Einsätze... (Foto: Iris Hensel)
Bei öffentlichen Auftritten gibt es Eisinger und Sie praktisch nur im Doppelpack. Welche Rolle spielt er in ihrem Leben?
Günter ist nicht nur Manager und Trainer, sondern auch ein guter Freund. Er sieht aber längst nicht alles Positiv bei mir. Was auch absolut in Ordnung ist. Und … ich mag ihn.
Sie galten viele Jahre als „Flippie“, jetzt haben Sie ein Haus gekauft. Wird Ariane Friedrich bodenständig?
Ariane Friedrich ist schon sehr lange bodenständig. Das weiß nur niemand so richtig. Ich weiß zwar nicht, was die Leute denken, aber es ist so. Ich gehe gerne in meinen Garten und grabe da ein bisschen herum, ich habe ganz tolle Freunde in der Nachbarschaft und passe gerne auf die Kinder auf. Ich führe ein ziemlich normales Leben. Die Verrückte, wie man sie vielleicht im Fernsehen sieht, bin ich nicht.
Steffi Jones hat kürzlich gesagt, sie gehe gerne Shoppen.
Ja, Shoppen gehe ich natürlich auch gerne. Das liegt wohl in der Natur der Frau. Was auch ganz toll ist: Baumärkte! Ich könnte stundenlang durch die Gänge schlendern und schauen, was es gibt.
Die Leichtathletik wird in der Außendarstellung immer mehr an den Rand gedrückt. Braucht ihre Lieblingssportart mehr extrovertierte Topathleten wie den zweimaligen Diskuswerfer-Weltmeister Robert Harting?
Das ist eine gute Frage. Aber schwer zu beantworten. Eine Sportart lebt von erfolgreichen Sportlern, und Robert ist erfolgreich und authentisch. Und unheimlich nett. Und er sagt, was er denkt. Das ist bei mir aber genauso. Und bei Carolin Nytra und bei Verena Sailer. Es ist nur die Frage, ob uns jemand zuhört.
Wie schwer fällt es Ihnen, dem Leistungssport alles unterzuordnen?
Das ist mir nie leicht gefallen. Das habe ich lernen müssen, auch durch harte Erfahrungen. Und ich muss mich ständig überprüfen und manchmal auch korrigieren. Ich habe auch die Tendenz, mal die Beine hochzulegen. Das äußert sich aber nicht über das Training. Leistungssport ist permanente Überwindung. Es gibt einfach Tage, an denen man nicht nur körperlich platt ist, sondern auch Motivationsprobleme hat und es einem womöglich auch seelisch nicht gut geht. Und dann zu sagen: Jetzt mache ich harte Tempoläufe oder gehe drei Stunden in den Kraftraum, das fordert viel mentale Kraft.
(Das Gespräch führte Uwe Martin)
16/11/2011