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Behrenbruch setzt neue Reize


Behrenbruch im 1.500-Meter-Finale bei der WM 2009 in Berlin (Foto: Iris Hensel)

Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch nimmt nach dem Rauswurf aus dem DLV-Topteam in Estland einen neuen Anlauf Richtung Weltspitze. Mit einem guten Ergebnis im österreichischen Götzis kann er sich am nächsten Wochenende frühzeitig die Olympiaqualifikation sichern. Pascal Behrenbruch meint, sein Problem erkannt zu haben. „Ich bin auffällig“, erklärt der 27-Jährige: Groß, blond, gut gebaut − ein Modellathlet. Aber eben einer, der immer wieder und eben nicht nur im positiven Sinne für Schlagzeilen sorgt. Zuletzt im Oktober. Da hatte der für die LG Eintracht Frankfurt startende Zehnkämpfer gerade erst die Weltmeisterschaft in Daegu als bester Deutscher auf Rang sieben abgeschlossen. Dass sich nach der Rückkehr etwas Unangenehmes ereignen würde, davon wollte er trotz Vorwarnung nichts wissen. Sein Rauswurf aus dem Topteam des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), der besonders geförderten Auswahl potenzieller Olympiateilnehmer, sei ein Schlag gewesen. Im November packte Behrenbruch seine Koffer. Er zog nach Tallinn, um sich von dem in der estnischen Hauptstadt lebenden Olympiasieger von 2000, Erki Nool, fit machen zu lassen. Seit Anfang Mai ist er wieder da.

Samstagvormittag auf der Sportanlage an der Niederräder Hahnstraße. Eine weiße Taube tapst furchtlos über die Anlaufbahn, auf der Behrenbruch mit dem Speer übt. Vor jedem Wurf beschwört der Athlet deutlich hörbar den eigenen Körper, das zu tun, was er von ihm will. Schnaufend läuft er an, schreiend wirft er ab. „Fuck!“ − Behrenbruch ist nicht zufrieden. Er verfolgt die Taube bis hinter die Hochsprungmatte, scheucht sie auf.


2009 in Berlin über 110 Meter Hürden (Foto: Hensel)

Nur 100 Meter weiter trainiert die Gruppe von Jürgen Sammert. Hier stand Behrenbruch jahrelang im Mittelpunkt. Er war der Leistungsträger, der Hoffnungsträger. Das Aushängeschild? Der WM-Achte Jan Felix Knobel hat seinen Platz eingenommen. Auf den Jüngeren, der die Konsequenz verkörpert, die man bei ihm selbst vermisste, ist Behrenbruch nicht gut zu sprechen. Er hätte ihn damals, als Knobels vorheriger Coach in Rente ging, nicht nur als Trainingspartner akzeptiert, sondern sich sogar für ihn eingesetzt. Gleiches hätte er bei seinem Rauswurf von Knobel erwartet. Das Verhältnis der beiden gilt als zerrüttet, seit der Nachwuchsmann zu einem echten Konkurrenten des Arrivierten gereift ist. Behrenbruch hatte sein besseres Abschneiden in Südkorea schamlos offen gefeiert.

Mit Trainer Sammert habe er sich ausgesprochen. Er meint nun zu wissen, dass dieser ihm die Zusammenarbeit nach vielen Jahren habe aufkündigen müssen, um selbst nicht seinen Job zu verlieren. „Unser Verhältnis ist wieder gut“, behauptet der Sportler.

Der Wechsel sei sowieso nötig gewesen, „aber von selbst wäre ich nie weggegangen, dazu bin ich zu gemütlich“. In Estland habe er sich wieder jeden Tag aufs Training gefreut. Ständig erwarteten ihn neue Reize. Er durchlief die russische Sprungschule. Er absolvierte „krasse Laufserien“. Seine Stärken dagegen wie das Kugelstoßen hätte er bewusst vernachlässigt. Zudem nahm der 1,96 Meter große Hüne ein paar Kilo ab. Nool habe die Spritzigkeit an ihm vermisst, die er 2006 noch gesehen habe: „Du bewegst dich wie ein Panzer“, habe der Trainer wenig rücksichtsvoll festgestellt. Behrenbruch beschränkt sich jetzt auf eine Hauptmahlzeit am Tag und springt viel Seil.

Die Zusammenarbeit mit dem Olympiasieger ist weniger intensiv als geplant. Nool, der als Abgeordneter im estnischen Parlament sitzt, habe wenig Zeit. Doch sich der Unterstützung des Weltklassemannes sicher zu sein, sei schon Motivation.

Betreut wird Behrenbruch in erster Linie von Nools ehemaligem Trainer Andrei Nazarov. Der Este hat den Hessen auch nach Deutschland begleitet. Mit leiser Stimme sorgt er für Abkühlung, wenn Behrenbruch sich nach einem schwachen Versuch wieder allzu sehr ärgert.

Nazarov strahlt Optimismus aus. Das beruhigt den nervösen Athleten, der sich von seinen bisherigen Wettkampfauftritten in diesem Jahr enttäuscht zeigt. Er hatte mit besseren Leistungen im Vorfeld der Großereignisse im Sommer, der Europameisterschaft und den Olympischen Spielen, gerechnet. Doch der Trainer sagt, alles sei gut.

Behrenbruch fühlt sich von dem ehemaligen Zehnkämpfer verstanden. Die Trainingsplanung gestalten sie gemeinsam. Dabei horchen sie nach, „was der Körper gibt“. Der Athlet darf entscheiden, was er machen will. Der WM-Sechste von 2009 sagt, er habe das vermisst, dass man ihn für reif genug hält, selbst Verantwortung zu übernehmen.


Beim Stabhochsprung 2009 in Berlin (Foto: Hensel)

Das habe auch den Konflikt mit dem DLV ausgelöst. Er sei kritisiert worden, weil er an einem freien Tag Wasserskifahren ging oder bis nachts um halb eins vor dem Computer saß. Er sei nicht fokussiert genug, lautete der Vorwurf. Pascal Behrenbruch ist sich bewusst, dass er sich zu leicht und gerne ablenken lässt. Doch man solle ihm glauben, dass in seinem Alter und mit seiner Erfahrung wisse, was er tue. „Wenn du abends trainierst, kannst du auch nicht gleich einschlafen“, erklärt er etwa sein langes Aufbleiben.

In Estland hat er jedoch notgedrungen gelernt, sich mehr auszuruhen. Dem Offenbacher, der nur seinen Hund mit ins Ausland nahm, fehlten die ständigen Verlockungen durch Freunde. Entsprechend blieb mehr Zeit, sich um sich selbst zu kümmern.

„Ich nehme die Sache jetzt ernster“, gibt Behrenbruch zu. Der Verzicht falle ihm sogar jetzt nicht schwer, da er einen Monat in der Heimat verbringt und das Trainingspensum in den nächsten Tagen auf ein Minimum beschränkt. Am kommenden Wochenende, beim Mehrkampf-Meeting im österreichischen Götzis, will er „nicht platt“ sein. Mit einem Ergebnis von mehr als 8300 Punkten könnte er sich dort frühzeitig die hundertprozentige Olympiaqualifikation sichern. Dann werde er sich auch mal wieder ein XXL-Schnitzel gönnen, sagt Pascal Behrenbruch, lehnt sich auf der Hochsprungmatte zurück und schließt vor der Sonne die Augen.

Das Training ist vorbei, die Freizeit kann kommen.

Quelle: Frankfurter Rundschau/Katja Sturm, 21. Mai 2012

 


21/05/2012